Ergänzungsfuttermittel zur Beruhigung
- Pferklaert

- 5. Okt.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Okt.
In letzter Zeit liest man vermehrt von einem neuen Ergänzungsfuttermittel, das laut Marketing nicht weniger als Stimmung, Stress und sogar Konzentration regulieren soll. Alles gleichzeitig. Klingt fast nach Zauberpulver, oder? Das Ganze hübsch verpackt, mit großen Versprechen und Werbepartnern.
Also schauen wir uns doch erstmal an, was der Hersteller selber sagt. „Ein Einzelfuttermittel für Pferde, dass die innere Ausgeglichenheit von Pferden bei Stress, Angst und Unruhe wieder herstellt“. Das Futter wirke entspannend und angstlindernd und steigere Konzentration und Leistungsfähigkeit, so steht es auf der Website des Herstellers.
Weitere Vorteile seien
➡️ keine Karenzzeit
➡️ FEI / FN-ADMR konform
➡️ für Langzeiteinnahme geeignet
➡️ kein Gewöhnungseffekt
➡️ für Sportpferde, tragende Stuten - eigentlich für alle
Das Futtermittel scheint durch Aussagen und Werbepartner insbesondere Sportreiter-Pferdpaare im Blick zu haben.
Die Firma wirbt damit, dass das Futter in Zusammenarbeit mit Tierärzten entwickelt wurde und auch von Tierärzten empfohlen wird. So berichtet ein Fachtierarzt für Pferde, Chirurgie & Augenheilkunde, auf der Website: „In der Tierklinik […] freuen wir uns, dass mit […] [dem Futter] ein innovatives Präparat zur Verfügung steht, welches bei Boxenunruhe und Rehabilitation, speziell bei der kontrollierten Schrittbewegung Einsatz findet“. Eine selbstständige Tierärztin, spezialisiert auf Zahnheilkunde für Pferde, berichtet: „Um eine sichere und entspanntere Behandlung für alle Beteiligten zu gewährleisten, hilft uns […] [das Futter] in der täglichen Praxis. In vielen Fällen kann so z.B. auf eine Sedierung verzichtet werden“.
Aber auch Reiter sind überzeugt. Ein ehemaliger Nationaltrainer berichtet: „[Das Futter] hat sich als wertvolle Unterstützung erwiesen, um die Nervenstärke unserer Nachwuchspferde zu verbessern“.
Und auch anderes Fachpersonal wie Hufschmiede erzählen: „Mit […] [dem Futter] können auch normalerweise sehr angespannte Tiere während der Behandlung deutlich gelassener bleiben “.
Auch bekannte Influencer sind begeistert und werben für das Produkt.
1️⃣ 🔍 Zutaten laut Hersteller
* Magnesiumfumarat
* Aromastoffe
* Passionsblumenextrakt (200 000 mg)
* Aminosäuren:
* L-Leucin: 10 000 mg
* Phenylalanin: 5 000 mg
* L-Tryptophan: 5,000 mg
* L-Lysin: 5 000 mg
Analytische Bestandteile: Rohprotein: 2.6%, Rohfett: 5.6%, Rohfaser: 0.8%, Rohasche: 24.4%, Phosphor: 0.01%, Calcium: 0.4%, Magnesium: 14.2%
Die Fütterungsempfehlung lautet wie folgt: “Für eine optimale Wirkung von […] [dem Futter] ist es notwendig, dass das Tier einen guten Wirkspiegel aufbaut. Daher empfehlen wir, 3-4 Tage vor der stressigen Situation, in der Sie ihr Tier unterstützen möchten, mit der Fütterung […] zu beginnen. Die empfohlene Tagesdosis sollte in den ersten Tagen als Einzeldosis gefüttert werden. Im Anschluss kann […] je nach Bedarf als Einzeldosis morgens oder auf zwei Dosen aufgeteilt morgens und abends zugefüttert werden“.
Gleichzeitig heißt es in den FAQ dann: „In den ersten zwei Tagen wird die doppelte Menge gefüttert, um den optimalen Wirkungspegel zu erreichen. Ab dem dritten Tag erfolgt die Fütterung in der angegebenen Standarddosierung“. Was für mich einen Widerspruch darstellt.
Aber die Firma entwarnt zum Glück, das Futter „kann nicht überdosiert werden. Die Dosierung kann je nach Stresslevel flexibel angepasst werden“.
Und auch Anwendungsbeispiele liefert sie gleich mit, so kann das Futter in der Heilungsphase, bei Stallwechseln, beim Besuch von Tierarzt, Zahnarzt und Hufschmied sowie auf Turnieren, für den Transport und bei Lärm wie Gewittern oder an Silvester gefüttert werden.
Die Firma selbst erklärt die Wirkung wie folgt: „Bei körperlicher oder nervlicher Anspannung steigt der Magnesiumbedarf des Körpers. Gleichzeitig macht Magnesium die Nerven weniger erregbar und wirkt der Freisetzung von Stresshormonen entgegen. Magnesiumfumarat ist eine hochverfügbare, organische Magnesiumquelle mit hoher Bioverfügbarkeit, die für eine schnell einsetzende und anhaltende Stressreduzierung bei Ihrem Tier sorgt. Passionsblumenextrakt wirkt entspannend, ausgleichend und angstlösend. […]
Im 19. Jahrhundert begannen Mediziner, die Passionsblume dank ihrer beruhigenden Wirkung als Mittel gegen Nervosität, Stress und Schlafstörungen zu nutzen. […] Da der Körper essenzielle Aminosäure nicht selbst produzieren kann, ist eine ausreichende Aufnahme über die Nahrung unerlässlich. Der Körper benötigt z.B. die Aminosäure L-Tryptophan zur Herstellung des oft als „Glückshormon“ bezeichneten Neurotransmitters Serotonin. Sie spielt daher eine entscheidende Rolle für das psychisches Wohlbefinden des Tieres“.
💡 Aber was sagt die Wissenschaft?
1️⃣Magnesiumfumarat (organische Verbindung)
* Muskel- und Nervenfunktion: Magnesium ist essenziell für die Weiterleitung von Nervenimpulsen sowie für das Zusammenziehen und anschließende Entspannen der Muskulatur
* Knochen- und Zahnbildung: ist am Aufbau und Erhalt von Knochen und Zähnen beteiligt, u. a. durch die Aktivierung von Enzymen im Knochenstoffwechsel
* Energieproduktion: ist Cofaktor zahlreicher Enzyme, insbesondere im Energiestoffwechsel (z. B. Glykolyse, Citratzyklus), daher ist es für Sportpferde und im Training besonders wichtig
* Stress- und Reizverarbeitung: ausgewogener Magnesiumspiegel unterstützt die Stressresistenz und wirkt regulierend auf das zentrale Nervensystem
💧 Bei starkem Schwitzen, z. B. im Training oder bei Hitze, geht Magnesium über den Schweiß verloren – der Bedarf steigt entsprechend
🌿 In der Regel wird der tägliche Bedarf über eine ausgewogene Ration mit artenreichem Heu, Grünschnitt und ggf. Getreide gut gedeckt. Ergänzungsfuttermittel mit Magnesium sind bei Mehrbedarf (z. B. Sport, Stress, Fellwechsel) sinnvoll, sollten aber gezielt eingesetzt werden
⚠️ Mangelsymptome:
* Erhöhte Erregbarkeit, Schreckhaftigkeit, Muskelzittern oder -krämpfe
* Verdauungsstörungen, wiederkehrende Koliken, angelaufene Beine nach Belastung
* Müdigkeit, Erschöpfung, langfristig auch Muskelschwund und Gefäßverkalkung
* In manchen Fällen: Atemprobleme bis hin zu dämpfigen Symptomen
🪣 Sichere Anwendung & Dosierung:
* Eine Überversorgung bis zum 3- bis 4-fachen des Tagesbedarfs gilt als unproblematisch
* Vorsicht ist bei gleichzeitiger hoher Phosphorzufuhr (z. B. kraftfutterreiche Rationen) geboten – dies kann das Risiko für Harn- oder Darmsteine erhöhen
* Die Verabreichung magnesiumreicher Ergänzer sollte idealerweise nach der Arbeit erfolgen, da Magnesium nicht gespeichert werden kann und bei manchen Pferden Müdigkeit auslösen kann
Von den 20 Aminosäuren gehören Lysin, Methionin und Threonin zu den essentiellen Aminosäuren (kann also nicht vom Körper selbst gebildet, sondern muss über die Nahrung zugeführt werden) beim Pferd, unter die nicht essentiellen Aminosäuren fallen unter anderem Leucin, Phenylalalin und Tryptophan.
✅Das bedeutet eine essentielle Aminosäuren befindet sich schonmal im Futter
Das „L“ vor „L-Lysin“ und „L-Tryptophan“ steht für L-Konfiguration, eine spezifische stereochemische Anordnung der Aminosäure. Es bedeutet, dass das Molekül in einer bestimmten räumlichen Struktur vorliegt, die für seine biologische Funktion relevant ist. Die L-Form ist diejenige, die in Proteinen vorkommt und vom Körper verwertet werden kann, während die D-Form eine andere Anordnung hat und in der Regel nicht vom Körper genutzt wird?
2️⃣Lysin
- wichtige Aminosäure in Verbindung mit dem Wachstum bei jungen Pferden
- Lysingehalt im Futter limitierender Faktor für die Verwertbarkeit des Gesamt-Proteins
- Lysinmangel kann beim erwachsenen Pferd zu einem unzureichenden Muskelaufbau führen, trotz guten Trainings
- Lysin befindet sich natürlicherweise viel im Weidegras
3️⃣Tryptophan
✅Vorläufer von Serotonin, einem Neurotransmitter im zentralen Nervensystem des Pferdes. Hohe Serotonin-Level im Gehirn sorgen für reduziertes Angst-, Aggressions- und Stressverhalten und für die Beruhigung eines übererregten Nervensystems. Ergänzt man die Ration mit Tryptophan, dann steigt der Serotonin-Spiegel im Gehirn an, es kann also durch die Blut-Hirn-Schranke passieren.
📚 Eine Studie von Brittany P. Davis, Terry E. Engle, Jason I. Ransom und Temple Grandin (2017) mit dem Titel „Preliminary evaluation on the effectiveness of varying doses of supplemental tryptophan as a calmative in horses":
Es wurde die Wirkung verschiedener Tryptophan-Dosierungen auf 11 Pferde (9 Wallache, 2 Stuten) untersucht
🔎 Versuchsdesign:
Die Pferde erhielten nacheinander 4 verschiedene Behandlungen:
1. 20 mg/kg Körpergewicht (niedrige Dosierung)
2. 40 mg/kg (mittlere Dosierung)
3. 60 mg/kg (hohe Dosierung)
4. 0 mg/kg (Kontrollgruppe)
➡️ Jede Dosierung wurde über drei Tage gegeben, dann folgte eine viertägige Pause
➡️ Am ersten und dritten Tag wurden Reaktionstests durchgeführt (Alarmglocke, Regenschirm)
➡️ Gemessen wurden Herzfrequenz, Fluchtverhalten, Blutwerte (Cortisol, Laktat, Glukose, Tryptophan u. a.)
📊 Ergebnisse im Überblick:
Tag 1:
– Leichte Beruhigung bei niedriger Dosierung (Herzfrequenz, Laktat-Werte)
– Mittlere & hohe Dosierungen senkten den Cortisolspiegel
Tag 3:
– Keine signifikanten Effekte mehr
– Alle Gruppen reagierten ähnlich, unabhängig von Dosierung
– Wirkung war nicht nachhaltig
📣 Übersetzte Zitate aus der Studie:
„Die Zufuhr von Tryptophan in höheren Dosierungen (also 40 oder 60 mg Tryptophan pro kg Körpergewicht) kann ein effektiver Weg sein, um die Cortisol-Konzentration in stressreichen Situationen zu senken. Wir haben zudem Hinweise für eine beruhigende Wirkung von Tryptophan auch bei niedriger Dosierung (20 mg pro kg Körpergewicht) gefunden. Dennoch haben wir diese Veränderungen nur bei einigen der gemessenen Parameter in diesem Experiment nachgewiesen. Die untersuchten Pferde haben auf die Verabreichung von Tryptophan deutlich besser am ersten Tag angesprochen, an dem sie den Futterzusatz erhalten haben […] Es scheint, daß die Fütterung von Tryptophan an Pferde nur wenige Stunden nach der Verabreichung die gewünschte Wirkung erzielt und dass die längerfristige Fütterung keinen zusätzlichen Nutzen bringt oder sogar unerwünschte Effekte nach sich ziehen kann.
Unsere Ergebnisse unterstützen nicht die Empfehlung, die sich auf manchen im Handel erhältlichen Produkten findet, wonach der Futterzusatz 24 Stunden sowie nochmals einige Stunden vor einem stressreichen Ereignis verabreicht werden soll.“
Sie weisen darauf hin, dass es sinnvoller erscheint, den möglichen Ursachen unerwünschter Verhaltensweisen auf den Grund zu gehen, als Beruhigungsmittel oder Futterzusätze mit beruhigender Wirkung zu verabreichen: „Sich mehr mit den Pferden zu beschäftigen, sie öfter auf die Koppel zu bringen oder sie gezielt auf eine zugrundeliegende Erkrankung oder ein bestehendes Problem zu behandeln, könnte zu nachhaltigeren Erfolgen führen, um unerwünschte Verhaltensweisen bei Pferden zu reduzieren und deren Wohlbefinden zu erhöhen“.
❌Das bedeutet: Die kurzfristige, punktuelle Wirkung von Tryptophan ist möglich, aber nicht langfristig belegt.
Passionsblume
✅wirkt beruhigend, innerlich ausgleichend, krampflösend
✅eignet sich zur Anwendung bei nervösen oder schreckhaften Pferden
❗ Kritisch wird’s, wenn ein Futter als Lösung für Trainingsprobleme, Stress, Verhaltensauffälligkeiten gegeben wird.
Stattdessen braucht es:
✅ Ursachenforschung
✅ Haltung, Fütterung, Tagesstruktur & Training überdenken
✅ Zeit, Verständnis, Geduld
✅ Und manchmal Hilfe von Fachmenschen
💬 Meine Meinung:
Marketing ist stark.
Die Aussagen klingen wissenschaftlich – aber sind teilweise nicht wissenschaftlich belegt.
Und „unterstützende Wirkung“ ersetzt keine fundierte, ganzheitliche Betreuung.
Der Wunsch nach schnellen Lösungen ist verständlich, aber gefährlich, wenn er auf Kosten des Pferdes geht.
👉🏻Denn Verhaltensauffälligkeiten sind Kommunikation. Nicht Störung.
Nur weil ein Produkt emotional und oft beworben wird, heißt das nicht, dass es nötig, sinnvoll oder wirksam ist.
Futtermittel dürfen nicht zur stillen Lösung für tieferliegende Probleme werden.
Sie können unterstützen, aber nicht ersetzen, was gute Haltung, gutes Training und echtes Verstehen leistet.
Denk daran: Ein gesundes Pferd braucht kein Glücksfutter, sondern gute Lebensbedingungen.
Ich denke aber, dass das Futter bzw. Deren Inhaltsstoffe durchaus in gewissen Situationen, wie an Silvester oder bei einem Stallwechsel, helfen können, auf die man ein Pferd nur bedingt vorbereiten kann. Ich würde das Futter aber NIEMALS bei einer Zahnbehandlung nutzen, um auf eine Sedierung zu verzichten, es auf dem Turnier geben oder beim Hufschmied, da diese Situationen mit Training zu üben sind und das Futter hier keine nachhaltige Lösung bietet. Auch würde ich von der langfristigen Gabe absehen.
Und ich persönlich würde auch immer zunächst auf Einzelkräuter setzen, wie die enthaltene Passionsblume oder beispielsweise Baldrian.
Was denkst du über solche Produkte? Hast du sie selbst schon getestet?�📣 Schreib’s in die Kommentare – lass uns gemeinsam kritisch & informiert bleiben!
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